Wurde früher ein Tier geschlachtet, wurde es komplett verarbeitet. Heute hingegen findet man im Supermarkt nur noch die „besten“ Stücke. Der Rest wandert ins Tierfutter oder Industrieprodukte. Alain Freymann vom Restaurant „Le Villageois“ in Grundwiller zeigt, dass es anders geht.
Die Industrialisierung unserer Lebensmittel hat unser Essverhalten in großem Maße verändert. Viele Menschen, die sich damit beschäftigen, akzeptieren nicht mehr, was auf diesem Markt geschieht. Etwa Massentierhaltung und andere fragwürdige Produktionsweisen.
Immer mehr Menschen werden Vegetarier oder gar Veganer. Hierbei empfehlt sich aber, sich medizinisch beraten zu lassen, denn man muss sich weitaus bewusster ernähren, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Eisen aus Pflanzen etwa wird schlechter aufgenommen als Eisen aus tierischen Produkten, auch Vitamin B12 oder Vitamin D muss in bestimmten Fällen ergänzend genommen werden.
Ich gebe zu: Mein Weg ist das nicht. Vor Jahrzehnten fragte ich einen befreundeten Arzt: „Was ist eigentlich gesunde Ernährung?“ Herr Doktor antwortete mir: „Rolf, schau dir Dein Gebiss an. Es steht für eine Ernährung als Allesfresser. Du hast Schneidezähne, starke Eckzähne, kleine Backenzähne, große Backenzähne. Das deutet drauf, dass der liebe Gott wohl meint, wir sollten uns vor allem abwechslungsreich ernähren!“
Bis heute bin ich diesem Prinzip treu geblieben. Viel aus dem Meer, Gemüse in allen Varianten, Fleisch, aber weniger als andere Deutsche dies wohl tun. Salat, wenn er nicht nur grün ist, und auch mal einen Pfannkuchen mit Pilzrahmsauce. Dass unsere Lebensmittel unsere Heilmittel sein sollen, habe ich seit Jahrzehnten verinnerlicht. Doch seit viele kleine Bäckereien, Metzgereien oder auch Gemüsegeschäfte schließen mussten, sind die Produkte weniger und langweiliger geworden. Dieser Markt hat seine eigenen Gesetze, und die bedeuten nicht unbedingt Vielfalt. Es gibt viele Menschen, die wissen gar nicht mehr, wie viele Farben Auberginen haben können, wie ein Brot aus dem echten Bäckerhandwerk schmeckt oder welche Teile eines Tieres unsere Vorfahren noch aßen.
Vor einigen Wochen sagte mir der Küchenchef des Wintringer Hofes, Christof Schuster: „Wir wollen die Tiere von den Ohren bis zu den Hufen verarbeiten.“ Das ist ein Ansatz, wie es unsere Vorfahren auch taten. In Deutschland gab es vor ein paar Jahren noch jede Menge Rezepte, die auf maximaler Verarbeitung frischer Produkte basierten – für Blutwurst und Kuttelsuppe, Hirn und Zunge bis zu Leber und Niere, Eisbein und Ochsenschwanz. Denn für unsere Vorfahren war klar: Ein Tier muss ganz verarbeitet werden.
Doch das passt nicht in die Philosophie der Nahrungsmittelindustrie, da es Probleme mit der Frische, etwa bei Innereien, geben könnte. Vielleicht würden sie daran auch zu wenig verdienen. Deshalb bieten sie nur die hochwertigen Teile an. Für die anderen Teile gibt es natürlich auch noch Verkaufsmöglichkeiten. Auf der Internetseite der Heinrich-Böll-Stiftung ist zu lesen: „Der Rest wird exportiert oder mit den traditionellen Schlachtresten an Haustiere verfüttert, in der Chemie- und Düngemittelindustrie verwendet oder als Biokraftsto‘ in den Tank gefüllt. Im Jahr 2013 entstanden bei 11,4 Millionen Tonnen Lebendgewicht der geschlachteten Tiere rund 4,9 Millionen Tonnen tierische Nebenprodukte – worunter alles fällt, was für den menschlichen Verzehr nicht geeignet ist oder nicht nachgefragt wird: Borsten, Fette, Knochen, Innereien, Magen- und Darminhalte und vieles mehr. Der größte Anteil davon wird für die industrielle Produktion genutzt: als Basis für Seifen, Waschmittel, Kosmetika, Arzneimittel, Farben, Kunststoffe, Druckertinte, Gummi, Textilien, Altpapier-Recycling, organischen Dünger und unzählige weitere Gegenstände, denen ihre tierischen Inhaltsstoffe nicht anzusehen sind.“
Mit einigen Freunden beschloss ich, der Küche unserer Vorfahren auf die Spur zu kommen. Zusammen mit einem Team des „Magazins Saar“ vom Saarländischen Rundfunk trafen wir uns kürzlich im Restaurant „Le Villageois“ in Grundwiller, um uns von Küchenchef Alain Freymann einige althergebrachte Gerichte zubereiten zu lassen. Die Kollegen vom SR drehten darüber einen Film. Harald Kreutzer, 37 Jahre alt und aktiv beim Netzwerk Entwicklungspolitik Saarland, brachte mich auf die Idee, diesen Mittag zu gestalten. Er meinte dazu: „Viele Teile von Tieren schickt man ja auch in den Export und zerstört damit die Lebensgrundlage anderer Länder. Unsere subventionierten Produkte billig dort zu verkaufen, ist eine Bedrohung für viele Länder.“
Küchenchef Alain Freymann erklärte den Anwesenden, wie das früher war: „Früher wurde ein Schwein geschlachtet, um es ganz zu verwenden und in der Dorfgemeinschaft gemeinsam zu essen. Da kamen die Nachbarn, und alles wurde verzehrt. Die Teile etwa, die leicht verderblich sind, wurden sofort verarbeitet. Daraus wurde Blut- und Leberwurst gemacht. Nieren, Lunge, Leber und Herz wurden für die Dorfgemeinschaft zeitnah zubereitet, etwa mit Zwiebeln und Quellkarto’eln. Es war ein Fest, es gab Schlachtplatten, mit Rippchen etwa.“
Vom Saarländischen Hotel- und Gaststätten-Verband habe ich Jürgen Becker, Wirt im St. Arnualer Wirtshaus „Unter der Linde“, mitgebracht. Er ist gebürtiger Bayer, kennt die Verarbeitung ganzer Tiere aus seiner Heimat am Tegernsee, erzählt mir aber auch, dass heute jeder Gastronom nur noch begrenzte Möglichkeiten hat. Jürgen Becker: „Alles wurde in meiner Heimat verarbeitet, selbst Drüsen, Euter oder Milcher. Auch heute noch, man muss aber genau suchen, wo es so etwas noch gibt. Es gibt Aktionen, einige bieten Kutteln an, andere machen Leber oder Nierchen. Die Schlachtfeste haben nachgelassen, da gerade im Bereich der Billigschiene und den Häusern, die solche Produkte kaufen, vieles kaputtgemacht wurde!“
In der Küche bereitet der Küchenchef Freymann derweil Flauzen und Schlachtplatte zu. Einige jüngere Teilnehmer schauen etwas befremdlich, so etwas haben sie wohl noch nie gesehen. Die 81-jährige Rentnerin Edith Hofmann dagegen freut sich und meint: „Die Küche hat sich total verändert. Viele kochen nicht mehr gerne und ernähren sich von Fast-Food. Ich selber mache auch noch gerne Kutteln, baue mein Gemüse im eigenen Garten an. Ich mache vieles selber, auch heute noch, etwa Schwartenmagen und vieles mehr. Auch aus Gänseblümchen und Brennnesseln kann man schmackhafte Gerichte zubereiten.“
Harald Kreutzer ist begeistert: „Diese Kochaktion ist ein überfälliges und gutes Signal an die Menschen, die in den Supermarkt rennen und dort anonymes Fleisch kaufen. Ein Tier ist halt nicht quadratisch, praktisch, gut. Ich wünsche mir viele Nachahmer.“ Dann setzten wir uns alle gemeinsam an einen großen Tisch und aßen zusammen. Würste, Rippchen – die ganze Schlachtplatte. Essen ist ja nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern auch ein sozialer Akt. Und wenn wir irgendwann nicht aufgestanden wären, könnte ich jetzt noch da sitzen…
„Le Villageois“
52 Rue Principale,
57510 Grundviller, Frankreich
Telefon 0033-387026940
Ruhetag: Mittwoch