„La Distillerie“ im luxemburgischen Junglinster gilt als bestes Gemüse-Restaurant der Welt. Was Sternekoch René Mathieu und sein Team hier zaubern, ist faszinierend und geschmacklich fantastisch zugleich.
Lange schon sind wir unterwegs, um gute Produkte und besondere Restaurants zu finden. In unserer Whatsapp-Gruppe „Genussgipfel“ gibt es dazu auch immer Neuigkeiten meiner Freunde Oliver, Peter und Jürgen. Vor ein paar Wochen kam einer mit einer besonders guten Idee: „In Bourglinster in Luxemburg gibt es doch ein Sterne-Restaurant, das vegetarisch kocht!“
Gesagt, getan. Zwei Wochen später waren wir da. Es gibt sogar zwei Restaurants dort, die nach der Philosophie von Chef René Mathieu kochen. Wenn man über die Brücke zum Schloss geht, liegen beide linker Hand. Zuerst kommt die „Brasserie Côté Cour“, auf deren Karte unterschiedliche vegetarische und vegane Kompositionen zu finden sind. Vom Snack – eine Tomatenkomposition mit Blumen und Caramel – über zwei größere Menüs zwischen 59 und 69 Euro bis zum Tagesgericht in zwei Gängen für 20 Euro. Hier kann man sehr gut die Philosophie des Chefs kennenlernen.
Ein paar Schritte weiter über den Schlosshof gelangen wir zum Restaurant „La Distillerie“, „An der Brennerei“. Hier gibt es die Genusswelt vom Meister in acht Gängen und zwei Amuse-Gueule für 145 Euro. Ich nehme es vorweg: Ich bin froh, dass wir diese große Erfahrung gebucht haben. Denn ganz ehrlich: Für mich war solch ein Restaurant neues Terrain. Der Chef steht hier nicht in der Küche, sondern betreut die ganze Zeit die Tische im Saal. Er erklärt, referiert, beantwortet Fragen – und macht einfach verdammt viel Lust darauf, seine vegane Welt kennenzulernen.
Während unseres Aufenthalts schleppte er Blumen und Gemüse von Tisch zu Tisch. Er bereitete Saucen, Essenzen und Säfte zu. Bei uns am Tisch herrschte immer wieder Staunen, und es dauerte auch gar nicht lange, da vermischte sich das mit großer Freude. Die Küche von René Mathieu ist ungemein geschmackvoll, und seine Liebe zur guten Küche überträgt sich fast schon zwangsläufig auf die Gäste!
Natur bestimmt, was es gibt
Ein wesentlicher Bestandteil seiner Kochkunst besteht darin, Obst, Gemüse oder Blumen zu mazerieren – im Französischen macérer, was tränken oder einlegen bedeutet – und zu fermentieren. Das Fermentieren ist die älteste Konservierungsmethode der Welt. Zu Zeiten, als es noch keine Kühlschränke gab, war dies eine Möglichkeit, Lebensmittel haltbar zu machen. Durch Salz wird sie in Gang gesetzt und wandelt organische Stoffe durch Mikroorganismen um. So wurde damals schon Gemüse haltbar gemacht.
Ein weiteres Mittel seiner Kochkunst sind Essenzen. In der Küche sind das etwa Säfte aus Früchten und Gemüse. Sie sollen den typischen Geschmack eines Lebensmittels hervorheben. Sehr geschmackvoll, manchmal sehr konzentriert. Außerdem beherrscht der Chef die Technik des Smokens, um überraschende Geschmackerlebnisse auf den Teller zu zaubern. In diesem Restaurant ist alles ganz anders. Serviert wurde in Tontöpfen und auf Steinplatten. Manchmal waren wir uns gar nicht sicher: Ist das essbar oder aus Stein?
Es begann mit „parfümiertem Wasser von einer Pflanze und einer Blume“. Dazu standen auf dem Tisch essbare Blätter an einem Ast. Blätter und Gemüse mit einem hausgemachten Ketchup aßen wir. Fremd, aber dennoch ein Genuss! Dann kam Gang für Gang. Wir waren am 14. September da, also kochten René Mathieu und sein sympathisches Team in der Küche und im Service die Pflanzen, die zu diesem Zeitpunkt reif waren. Das können jetzt im Oktober schon wieder völlig andere sein. Deshalb auch die Überschriften: „Wild gepflückt“ oder „Der Korb von Sandrine“ sagen im Grunde nichts Konkretes über die Produkte. Die Natur bestimmt hier darüber, was auf den Tisch kommt. „Vollständigkeit“ –
das waren an diesem Tag grüne Gemüse, fermentierter Jus und Mazeration von roten Früchten mit Fenchel-Infusion. Der nächste Gang, „Tomate“, war gegrillt, gelbes Wasser, geeiste Capucine, mit einer Fenchelsauce und Anis. Dazu gab es ein Bauernbrot mit einer Spinatcreme und einem Konzentrat von Gazpacho. Ich habe so etwas Intensives noch nie gegessen. Die Überraschung am Tisch wich zunehmend der Begeisterung!
„Wild gepflückt“ hieß der nächste Gang. Das waren Blumen und Blätter der Umgebung mit einer Sauce aus jungen Erbsen. „Der Korb von Sandrine“ ist der Korb der Bäuerin, die Gemüse bringt. Gurke, Aprikose, Basilikum-Pomade mit Lavendel auf einem Gurken-Jus und einer Aprikosen-Lavendel-Sauce. Beeindruckend!
2021 zum Koch des Jahres gewählt
Artischocken werden hier mit Pfifferlingen und Textur von schwarzem Reis auf einem Konzentrat mit Wasabi zubereitet. Ich hätte nie erwartet, dass Gemüse so überraschend und gut schmecken können. Faszinierend und fantastisch zugleich.
„Sinnliches Pflücken“ war dann Eis, der Geruch unserer Umgebung, Croustillant und Waldfrüchte. Wir waren wirklich sprachlos. „Wilde Früchte“, präsentiert wie eine Tarte mit „Liebestomaten“ am Stil mit gelbem „Tomatenwasser“. Der Überzug ist aus Honig und Früchten, getunkt in Karamell. Dazu eine große Nebelshow mit Trockeneis. Erst sahen wir gar nicht, was auf dem Tisch stand. „Süßigkeiten, inspiriert von Judith“ präsentiert auf einem steinernen Apfel. Das Dessert dampfte gewaltig, und als der Rauch sich verzogen hatte, sah ich Mirabellen, Distel und Pfirsich mit Schafgarbe. Allein das Geschirr hier ist schon einen Besuch wert. Die Sauce war Yin und Yang, rechts dunkel, links hell.
Wir redeten natürlich während des gesamten Essens mit dem jung gebliebenen 61-Jährigen, löcherten ihn mit allerlei Fragen. „Ich bin nicht gegen Fleisch. Nur gegen schlechtes“, betont René Mathieu. „Ich will regional kochen. Das geht am besten mit Gemüse. Ich denke an die Natur und die Gesundheit. Weniger ist mehr. Ich denke auch an diesen Planeten.“
Alkoholfrei geht hier übrigens sehr gut, denn es werden besondere Säfte aus Blumen und Pflanzen angeboten. Einer musste ja fahren, also bekam derjenige von uns diese Spezialitäten. Aber auch die Weinkarte kann sich sehen lassen und überzeugte uns sehr. Es sind vor allem besondere Kreszenzen aus Luxemburg und Frankreich darauf verzeichnet. So stehen große luxemburgische Winzerinnen und Winzer unter der Rubrik Riesling. Etwa Alice Hartmann mit einem „Sélection du Château 2019″. Oder aus dem Hause Sunnen Hoffmann ein „Wintrange Hommelsbierg 2019″. Und noch einige bekannte Namen mehr. Sehr interessant fand ich die Abteilung Auxerrois. Da gibt es nur eine Position, dafür der Name Aly Duhr. Ein Vorzeigeweingut seit 1872 in Luxemburg. Aus der gleichen weltberühmten Familie stammt die Position Château Pauqué, Abi Duhr, Grevenmacher.
Wir entschieden uns für einen Grauburgunder vom Weingut Schlink aus Machtum. „Aromen und Farben 2019″ hieß er, und er war der perfekte Begleiter für unsere ersten Gänge. Die Philosophie dieses Weinguts ist, so nachhaltig zu arbeiten wie möglich. Ihre Devise lautet: naturnah arbeiten. Und ausnahmslos alle am Tisch waren von diesem Wein begeistert.
Ungefähr in der Mitte des Menüs bestellten wir eine zweite Flasche. Diese Truppe verehrt schon große Chardonnays. Also fiel die Wahl auf einen Chablis, Grand Cru, aus dem Hause Vincent Dauvissat. In dieser Ecke von Burgund gibt es zwei Betriebe, die jährlich mit ihren Weinen überzeugen: René & Vincent Dauvissat und Francois Raveneau. Deshalb bestellten wir sofort nach Entdeckung auf der Karte diese Flasche. Hier kann man auch ohne Probleme selbst komponierte Wässerchen trinken. Doch der Chef strahlt nicht nur Lebensfreude aus, er hat auch eine besondere Weinkarte. Das gab vom gesamten Tisch Zusatzpunkte für die Bewertung.
Der 61-jährige Belgier und sein Team haben gerade in den vergangenen beiden Jahren zahlreiche Auszeichnungen abgeräumt. Bei den „We’re Smart World Awards 2020″ wurde „La Distillerie“ zum besten Gemüse-Restaurant der Welt gekürt. Als „Koch des Jahres 2021″ wurde René Mathieu im Gault & Millau ausgezeichnet. Und der Michelin schrieb: „Er verarbeitet Gemüse und Pflanzen unglaublich einfallsreich. Fast täglich macht er sich auf, um im Gemüsegarten die besten Produkte auszusuchen. Mathieu bringt den wahren Geschmack der Natur auf den Teller und bereitet seine Gerichte mit viel Raffinesse und intensiven Aromen zu. Dafür nutzt er beispielsweise die Technik des Smokens. Seine Saucen sorgen für eine neue Dimension in seinen Gerichten. René Mathieu hat Freude am Kochen und lässt Sie gern an seiner Leidenschaft teilhaben.“
Dafür gab es einen Michelin-Stern für eine Küche voller Finesse – einen Stopp wert! Außerdem noch einen grünen Michelin-Stern für Gastronomie und Nachhaltigkeit. Wir werden wohl bald wieder dorthin fahren.
La Distillerie
8, rue du Château
L-6162 Bourglinster
Telefon 00352-7878781
www.bourglinster.lu/en/#restaurants