Wiedersehen mit Freunden
Die lange konsequente Schließung der deutsch-französischen Grenze hat Spuren hinterlassen wie unser Besuch bei Alain Freymann im Restaurant „Le Villageois“ in Grundviller zeigt.
Die deutsch-französische Freundschaft lebt besonders intensiv hier bei uns an der Grenze. Gott sei Dank beginnt so langsam aber sicher wieder ein Stück weit das normale Leben, denn die vergangenen Wochen und Monate waren alles andere als normal. Es sind die Freundschaften zwischen Menschen, die bilaterale Verträge mit Leben füllen. „Die meisten Grenzen in Europa sind wieder offen, doch drei Monate Grenzschließungen in der Corona-Krise haben ihre Spuren hinterlassen. Besonders bei denen, die Europa Tag für Tag leben, über Ländergrenzen hinweg pendeln oder Familie haben“, kommentierte Julie Kurz in den „Tagesthemen“ der ARD am 15. Juni völlig zu Recht.
Familien und Beziehungen wurden auseinandergerissen. Ich hätte mir nicht träumen lassen, nicht mehr nach Frankreich reisen zu dürfen. Geboren bin ich 1956 im Saarland, nicht in Deutschland. Für mich ist Deutschland heute zwar mein Vaterland, mein Mutterland aber ist Frankreich. Ich bewundere bis heute Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer. Weitsichtig taten sie alles für eine unverrückbare deutsch-französische Freundschaft. 1971 war ich über das deutsch-französische Jugendwerk bei einer französischen Familie in Paris. Seither kenne ich das französische Leben und habe es lieben gelernt.
Häufige Einkäufe jenseits der Grenze
Keine Frage, dass ich unmittelbar nach Wiederöffnung der Grenzen sofort alte Freunde in Frankreich besuche. Dort habe ich viele Bekannte und Freunde, kaufe regelmäßig und gern dort ein. Etwa beim letzten Müller an der Saar in der Nähe von Sarre-Union mein Mehl oder mein Eau de Vie bei Familie Bertin in Troisfontaines.
Wir fahren also nach Grundviller, wo Alain Freymann an diesem Tag bereits seit morgens um 5 Uhr in der Küche steht. Er bereitet unterschiedliche Terrinen für den Tag vor. Das ist Frankreich wie ich es liebe. Der Küchenchef ist bei vielen deutschen Feinschmeckern bekannt. In der Spargelzeit verkauft er normalerweise Tonnen des „weißen Goldes“ –
Spargel importiert aus Deutschland. Mit Bussen kommen dann viele hierher, um die Köstlichkeiten des Meisters zu goutieren. In diesem Jahr jedoch war alles anders: „Die Spargelzeit war für mich chaotisch durch Corona. Wir haben zwar ein paar Spargel verkauft, aber vielleicht gerade einmal ein Viertel eines normalen Jahres. Früher kamen Reisegesellschaften und viele ältere Leute zum Spargelessen bei Alain, dieses Jahr fand das leider nicht statt.“
Spargelcremesuppe mit Charakter
Uns servierte er als Erstes seine Spargelcremesuppe. Auf der Karte steht entsprechend „Spargelcremesuppe auf meine Art“. Diese macht er, indem er aus den Schalen des Spargels einen Fond zieht. Dann wird dieser durchgesiebt und es kommt Butter dran. Anschließend gibt er kleine Stücke vom grünen Spargel dazu und einige gewürfelte Kartoffeln. Crème fraîche natürlich und Schnittlauch. Danach mit Bouillon aufgegossen und mit Eigelb abgebunden. Diese Suppe unterscheidet sich schon deutlich von den wässrigen, seelenlosen Brühen anderer Betriebe. Ein wahrer Hochgenuss!
Danach präsentiert er uns seine beiden Terrinen, die er frühmorgens zubereitet hat – Lothringer- und Gänsepastete sowie Crudités. Für die Lothringer Terrine wird unterschiedliches Fleisch vermischt. Manche Stücke werden in Würfel geschnitten, andere kommen in den Fleischwolf. Eine Farce braucht er dazu, Schweine- und Kalbfleisch werden dafür verwendet. Halsstücke sind wichtig, denn da muss Fett rein. Anschließend wird mit Salz, Pfeffer, Muskat, Majoran gewürzt. Die zweite Terrine wird aus Hühnerfleisch, Hühnerleber und Foie gras hergestellt. Alles wird vermischt. Die Zubereitung ist zeitintensiv, doch das Ergebnis ist herausragend.
Als Hauptgang gibt es „Spargel und Schinken mit Kartoffeln an drei Saucen“. Alain reicht dazu nicht wie sonst üblich nur eine Sauce hollandaise. Bei ihm gibt es drei Saucen: eine selbst geschlagene Mayonnaise, dazu eine Sauce mit Essig und Öl, klein gehackten Eiern, Schalotten, Petersilie und Schnittlauch. So eine Art Sauce gribiche. Die dritte Sauce ist eine Hollandaise mit kleinen Kartoffelstücken, frisch geschlagen. Die Kartoffelstücke so groß wie in einer Linsensuppe etwa. Die Nähe zur deutschen Grenze sieht man an der Schinkenauswahl. „Die Saarländer wollen immer gekochten Schinken“, erzählt Freymann. „Also gibt es gekochten und rohen Schinken dazu.“
Wir dürfen auch noch eine kleine Portion von seinem Schweinegeschnetzelten probieren. Dieses steht bereits den halben Morgen auf dem Herd. Alain benutzt dazu Schweinsnuss. Diese legt er vor der Zubereitung eine halbe Stunde in die Gefriertruhe, ehe sie dünn mit der Maschine aufgeschnitten wird. Dann wird sie angebraten, und dazu kommen frische Champignons. Noch etwas von einem Fond, den er selbst macht, und Crème fraîche. Dazu zwei dicke Zwiebeln aus Nachbars Garten. Freymann lässt alles lange reduzieren, und heraus kommt ein überaus schmackhaftes Gericht.
Der Stachel der Zurückweisung sitzt noch immer tief
Zum Dessert reicht uns Marianne Freymann „Café Gourmand“. Das ist eine Crème brûlée mit Pistazien, ein Flan mit Valrhona-Schokolade, Ile flottante, die „schwimmende Insel“, mit Sauce anglaise, frische Früchte, Eis und dazu ein Espresso. Eigentlich eine Nachspeise für ein Paar. Schön zum Teilen. Göttlich!
Nach dem hervorragenden Essen sitzen wir noch lange zusammen und reden über die schwere Zeit der Trennung. Über Erlebnisse, die wir uns vor ein paar Wochen noch nicht hätten vorstellen können. Wir sind uns einig, dass da viel Menschlichkeit und Fingerspitzengefühl seitens der Politik fehlte. Wie ich lebt auch Alain Freymann ein Leben der offenen Grenzen in Deutschland und Frankreich. Zu seinem Wochenplan gehören seit Jahren jeden Dienstag und Freitag Besuche auf dem Saarbrücker Großmarkt und in der Metzgerei Schwamm. Doch seine Erlebnisse in der Corona-Krise machten ihn sehr traurig. „Ich kaufe auch privat vieles in Saarbrücken ein. Oft für die ganze Familie in der Bahnhofstraße. Aber auch wöchentlich für unser Restaurant“, erzählt er. „In der Corona-Zeit fuhr ich mit Maske und Handschuhen an die Grenze nach Kleinblittersdorf. Im Lieferwagen in Kochkleidern, morgens um 5 Uhr. Der deutsche Zoll fragte mich nach meinem Ausweis. Den hatte ich nicht dabei, weil der neue biometrische Führerschein in Frankreich auch als Ausweis zählt. Nicht so in Deutschland. Sie schickten mich zurück und sagten, ich hätte noch Glück gehabt, da ich ohne Ausweis eigentlich 20 Euro zahlen müsste, auf die der Beamte verzichtete.“
Eine schmerzhafte Erfahrung für jemanden, der sich normalerweise wie selbstverständlich dies- und jenseits der Grenze bewegt und vor allem diesseits ein gern gesehener Kunde ist – wie er mir am nächsten Tag eindrucksvoll beweist. Wir treffen uns am nächsten Morgen um 6 Uhr in der Früh auf dem Saarbrücker Großmarkt. Alain sucht sich zielsicher französische Gesprächspartner aus, alles läuft ruckzuck und reibungslos. Ich merke sofort: Hier kauft ein geschätzter, langjähriger Kunde ein. Danach geht es zur Metzgerei Schwamm. Auch hier vieles auf Französisch, wenig auf Deutsch. Alles problemlos und fix. Anschließend gehen wir einen Kaffee trinken. Alain ist noch immer aufgebracht über die Sperrung der Grenzen zu Corona-Zeiten: „Unsere Familie ist grenzüberschreitend. Wir haben Verwandte in Auersmacher. Schon als Kind besuchten wir uns häufig gegenseitig, machten gemeinsam Urlaub im Schwarzwald. Mache ich heute noch. Mein Sohn Guillaume studiert seit zwei Jahren in Pirmasens. Da tut es weh, so abgewiesen zu werden.“ Schweigen am Tisch. Tiefes Schweigen.
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