Wer andere Länder bereist, lernt kulinarisch immer wieder dazu. Manche Speisen finden sich weltweit – Hackbällchen und gefüllte Teigtaschen etwa.
Zu Studentenzeiten gab es in meinem Freundeskreis eine Maxime: Lasst uns die Welt erkunden! Und es waren immer wieder erhellende Gespräche, wenn einer von uns von einer weiten Reise zurückkam. Zuerst erkundeten wir unsere europäischen Nachbarländer, oder wir luden Freunde aus anderen Ländern zum gemeinsamen Kochen ein. Das war immer sehr spannend, denn die Einkaufsliste sah oftmals so ganz anders aus, als wenn wir Coq au Vin oder Rouladen zubereiteten.
Es dauerte nicht lange, und durch Job oder Urlaub kam der eine nach Indien, der andere nach Peru. Ich erinnere mich noch gut, als wir einmal in den 1970er-Jahren ein gemeinsames Weihnachtsfest feierten. Ein Freund kam gerade aus Indien zurück, wo er sechs Monate gearbeitet hatte. Und er wollte uns demonstrieren, was er dort kulinarisch gelernt hatte: Lammkeule in Joghurtsauce mit Gewürzen wie Kardamom, Ingwer, Nelken und Koriander.
Die schönste Weise, die Welt kennenzulernen, ist es, die Kultur eines fremden Landes zu erleben. Dazu gehört auch zweifelsfrei dessen Küche. Ich versuche immer – völlig gleich, welches Land ich bereise – die Spezialitäten und kulinarischen Besonderheiten dort zu erkunden. Neugierig sein, sich auf Gerichte einzulassen, die einem unbekannt sind. „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben“, sagte einst Alexander von Humboldt. Und er hatte Recht. Nichts finde ich befremdlicher, als wenn ich sehe, wie etwa deutsche Touristen auf Mallorca deutsche Wirtshäuser aufsuchen, um Schweinshaxen zu essen. Absolut nicht meine Welt!
In Brasilien vereinen sich die Küchen vieler Regionen
Die Küchen der Welt sind unfassbar vielseitig und damit so unterschiedlich wie spannend. Vom hohen Norden bis zum tiefen Süden, vom Osten bis zum weiten Westen sind sie geprägt von den unterschiedlichsten Faktoren. Von Klima, Historie, Religion, Kultur und den vorhandenen Viktualien. Daher sollte man auch vorsichtig sein mit Begriffen wie etwa deutsche, französische oder italienische Küche. Schauen wir bei uns. Die Küche in Schleswig-Holstein unterscheidet sich schon deutlich von der Küche im Südwesten unseres Landes.
Die meisten Länder haben sich ihre Regionalküchen bewahrt. Sie sind oft ein Spiegelbild der Landschaft, ihrer Tradition, ihrer regionalen Produkte, ihrer althergebrachten Bräuche. Seit Jahrhunderten streiten sie in Südwestfrankreich über die richtige Zubereitung von Cassoulet, einem Eintopf aus Fleisch oder Würsten und Bohnen. Der Name leitet sich von einer Keramikform ab, in dem er gekocht wird. Doch in den südwestfranzösischen Städten Castelnaudary, Carcassonne und Toulouse sind die Rezepte unterschiedlich. Und jeder behauptet, seines sei das richtige. Oder in Baden-Württemberg die Spätzle. In Württemberg werden sie mit Wasser hergestellt, in Baden mit Milch. Ich weiß nicht, ob das heute noch gilt, aber auch das saarländische Nationalgericht Dibbelabbes wird oder wurde unterschiedlich zubereitet. In alten saarländischen Kochbüchern fand ich den Hinweis, dass in der Neunkircher Gegend Schales zubereitet wird. Also die Version, in der das Kartoffelgericht in einem gusseisernen Bräter in den Backofen gestellt wird. In anderen Teilen des Saarlandes wird das Kartoffelgericht auf dem Herd zubereitet. Nach ähnlichem Rezept.
Im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte habe ich viele Länder bereist, zahlreiche Küchen der Welt kamen seither aber auch zu uns. Heute findet man bei uns Restaurants mit Spezialitäten aus allen Erdteilen.
Asien ist der größte Kontinent, folglich ist die dortige Küche mit die vielfältigste und abwechslungsreichste. Das liegt auch an den klimatischen Unterschieden. Vom eiskalten Sibirien bis zu subtropischen Ländern ist hier alles vorhanden. Für mich ist die asiatische Küche der Gewinner der vergangenen Jahrzehnte in Europa. Sie ist unfassbar abwechslungsreich und gehaltvoll. Dabei sind die meisten Zubereitungen wirklich nicht besonders kompliziert. Ein Wok, etwas Gemüse, Fleisch oder Fisch, und in kürzester Zeit steht das Essen auf dem Tisch. Nicht umsonst haben die größten Köche Europas heute auch asiatische Zubereitungen in ihrem Programm.
Auch die Küchen Amerikas – bei der Größe und Historie dieses Kontinents logisch – sind sehr vielfältig. Aus der neuen Welt kamen viele pflanzliche Lebensmittel zu uns, die in Europa bis dahin unbekannt waren: Tomaten etwa, oder Kartoffeln, Paprika, Mais, Erdnüsse, Kürbisse, Ananas, Papaya, Avocados, Kakao, Süßkartoffeln. Auch Tabak, Vanille und Chilis. Die Küchen Nord- und Mittelamerikas sind vor allem geprägt von denen, die sie damals eroberten. Kanadas Küche ist geprägt von englischen und französischen Einflüssen. Was die Küche der USA ist, weiß ich nicht so recht. Bei uns haben sich vor allem Burger, Steak, Bowls und allerlei Backrezepte durchgesetzt. Dabei haben sich dort allerdings noch viele andere Einflüsse etabliert. Asiatische und polynesische etwa. Im Süden auch spanische und solche aus afrikanischen Ländern.
In Mittelamerika spielen spanische und afrikanische Einflüsse eine Rolle. Südamerika hingegen bietet einen sehr bunten Speiseplan. Es genießt bei uns den Ruf, hervorragendes Fleisch auf den Tisch zu zaubern. Viele schwören auf das beste – aus Uruguay! Dabei haben viele Länder noch eine Menge regionaler Spezialitäten. Sehr abwechslungsreich ist die brasilianische Kulinarik, da sich dort Einflüsse aus vielen Küchen vereinen.
Australien und Neuseeland waren mal englische Kolonien. Deshalb sagten früher viele, diese Küchen seien langweilig. Stimmt aber absolut nicht, denn sie bieten weit mehr als etwa nur gegrillte Steaks. Mittlerweile wird dort eine raffinierte Fusionsküche mit zahlreichen unterschiedlichen Einflüssen angeboten. Natürlich auch mit Einflüssen aus Asien und Ozeanien. Und mit Produkten, die es vor Ort gibt. Und dies sind nicht nur Krokodil, Schlange oder Känguru!
Ein großer Kontinent wie Afrika hat natürlich auch sehr unterschiedliche Küchen. Es wird unterschieden zwischen Nordafrika, der äthiopischen Küche und den Nachbarländen im Osten, der schwarzafrikanischen Küche und der Küche Südafrikas. Den meisten Europäern ist die nordafrikanische Küche bekannt. Eine Küche, die durch fremde Gewürze, besondere Farben und geheimnisvolle Düfte auffällt.
Die nigerianische Küche ist stark geprägt von Chili
Die Küche Schwarzafrikas möchte ich am Beispiel Nigerias aufzeigen, meine Frau stammt von dort. Viele Menschen ihrer Heimat bauen in ihrem Garten oder auf ihrer Farm ihr eigenes Gemüse und ihr Obst an. Paprika, Yams, Kochbananen, Tomaten, Zwiebeln, Hirse, Mais und Reis sind die Grundlage. Die Nigerianer kochen auch gerne mit Obst, das sie in großer Auswahl haben. Dazu kommen – wenn möglich – Fleisch und Fisch. Oft kommt auch beides in einen Topf. Kennen wir so nicht. Meeresfrüchte lieben sie sehr und bereiten sie in allen Varianten zu. Die Küche ist sehr scharf, Chilis gehören fast immer dazu. Davon kann ich ein Lied singen!
Die europäische Küche will ich heute mal etwas vernachlässigen. Jeder hat da seine Lieblingsgerichte aus einem bestimmten Land oder auch mehreren übernommen. So las ich vor Kurzem einen Bericht über die Lieblingsgerichte der Deutschen. Unter den zehn ersten waren auch Pizza und Spaghetti. Eigentlich gar nicht so typisch deutsch, aber aus Italien eingebürgert.
Eines ist mir aufgefallen, als ich die Küchen vieler Länder so nach und nach kennenlernte. Es gibt fast überall Teigtaschen und Hackbällchen, kaum eine Kochkultur kennt sie nicht. So heißen Hackbällchen etwa in der chinesischen Küche Shi Zi Tou, in den Niederlanden Bitterballen, in Schweden Köttbullar, in Japan Tsukune, in Spanien Albóndigas, in Italien Polpette, in Polen Pulpety, im Mittleren Osten Köfte, und die Deutschen lieben ihre Königsberger Klopse.
Auch Teigtaschen liebt die ganze Welt! In China gibt es dafür zwei Begriffe: Dim Sum und Dumpling. Bei der Füllung sind die Chinesen sehr flexibel: Fleisch, Garnelen oder auch vegetarisch in allen Varianten. In Südamerika heißen sie Empanada. Zubereitet werden sie mit Hackfleisch vom Rind oder vom Hähnchen, Gemüse oder Meeresfrüchten. Die japanische Variante heißt Gyoza. Hier werden sie erst gebraten, dann gedämpft. Die Füllung besteht meist aus Gemüse, Garnelen oder Hackfleisch. Oder auch aus Pilzen. Winzige Täschchen namens Manti formen sie in der Türkei. Die Italiener haben viele Versionen der Teigtaschen. Gefüllt sind sie mit allem, was das Land so hergibt. Und dies kann sehr unterschiedlich sein: Spinat, Mangold, Hack, Fisch, Meeresfrüchte oder Käse. Alles ist hier möglich. In Russland heißen sie Pelmeni und werden mit zerlassener Butter, Schmand oder saurer Sahne gereicht. Gefüllt sind die Teigtaschen mit Hackfleisch. In Österreich wird die Teigtasche unter dem Begriff „Kasnudel“ kunstvoll gefaltet und oft mit Zwiebeln und Quark gereicht. Und die Deutschen lieben ihre Maultaschen.