Fliegenpilz und Ochsengalle

Seit 500 Jahren wird hierzulande Bier nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut. Braumeister Thomas Bruch gibt Einblicke in seine Schätze, die nicht nur die Geschichte der deutschen Braukunst spiegeln, sondern auch viele Anekdoten der saarländischen Bierbrauer-Tradition.

Vor 500 Jahren erfanden die Bayern das deutsche Reinheitsgebot für Bier, genauer gesagt am 23. April 1516. Seither steht fest: Nur Gerste, Hopfen und Wasser dürfen ins deutsche Bier, und sonst gar nichts! Damit sollte damals auch erreicht werden, dass nicht mehr Weizen fürs Bierbrauen verwendet wird. Denn der wertvolle Weizen sollte lieber dazu verwendet werden, Brot zu backen und die Bevölkerung zu ernähren. Im Grunde ist das Reinheitsgebot also ein Weizenbier-Verbotsgesetz, was aber faktisch 1607 aufgehoben wurde, da die bayerischen Herzöge mit Weißbier-Brauhäusern die Staatskasse sanierten. Zudem galt das Reinheitsgebot nur für untergärige Biere; Weizenbier ist aber obergärig.

Die Bierbrauer Thomas (links) und Lukas Bruch im „Stiefel Bräu“. - Foto: Astrid Karger
Die Bierbrauer Thomas (links) und Lukas Bruch im „Stiefel Bräu“. – Foto: Astrid Karger

Das Reinheitsgebot ist das älteste und am knappsten gefasste deutsche Lebensmittelgesetz. Zuvor war das Panschen mit allerlei Dingen verbreitet, die wir uns heute so gar nicht mehr vorstellen können – oder wollen. Häufig landeten nämlich Stechapfel, Ochsengalle und sogar Fliegenpilze im Bier. Oder Bilsenkraut. Was das ist, erklärt Thomas Bruch, Chef der ältesten saarländischen Brauerei, mit dem ich im Saarbrücker Gasthaus „Zum Stiefel“ zusammensitze: „Das sogenannte Bilsenkraut ist ein Halluzinogen, das gerne beigemischt wurde. Es war vor allem sehr billig. Oder man hat Ochsengalle ins Bier getan, um es bitter zu machen.“ Gebraut wurde überall in Deutschland.

Doch wie hat sich die Bierbrauerei im Laufe der Jahrhunderte verändert? „Gerstenmalz ist Gerstenmalz“, sagt Bruch. Dieses gebe es „in ganz Europa auf hohem Niveau. Aber Gerstenmalz lässt sich unterschiedlich rösten. So erhält man Karamel-Aromen oder etwa dunkle Röstaromen. Das gibt Geschmacksvielfalt, kostet aber auch mehr.“

Malz ist nichts anderes als gekeimte Gerste. Beim Keimprozess wird die Stärke umgebaut zu Traubenzucker. Dieser ist wasserlöslich und vergärbar. „Früher wurde dabei mit Feuer gearbeitet“, erzählt Bruch. „Damit konnte der Gärprozess aber nicht so genau gesteuert werden. Deshalb waren früher die Malze fast alle dunkel. Heute ist die Mälzungstechnik viel weiter entwickelt. Sie können mit Heißluft mälzen, sodass auch helle Malze entstehen.“

Beim Hopfen ist es anders. Da ist es ähnlich wie mit Weinreben. Der Ertrag macht den intensiven Geschmack. Aromatische Hopfensorten haben weniger Ertrag als weniger aromatische. Man unterscheidet daher zwischen Aromahopfen und Bitterhopfen. Durch unterschiedliche Methoden, den Hopfen ins Bier zu bringen, wird das Ganze billiger oder teurer. Deshalb schmeckt Bier manchmal auch bitter, hat aber kein Aroma. Auch die Hefen geben Aromen ab. So schmeckt etwa Kristallweizen etwas nach Banane und Apotheke.

Bier trinken, keinen Trip einwerfen

Thomas Bruch hat ein paar Bücher über das saarländische Brauereiwesen mitgebracht. So blättern wir uns also durch die saarländische Historie. 1864 wurde die Handelskammer in Saarbrücken gegründet. Damals waren im Großraum des heutigen Saarbrücken 31 Brauereien gelistet.

Eine Ausstellung in Mannheim zum Thema „500 Jahre Reinheitsgebot“ zeigt Flaschen und Dosen verschiedener Bierhersteller aus aller Welt. - Foto: picture alliance / dpa/Uwe Anspach
Eine Ausstellung in Mannheim zum Thema „500 Jahre Reinheitsgebot“ zeigt Flaschen und Dosen verschiedener Bierhersteller aus aller Welt. – Foto: picture alliance / dpa/Uwe Anspach

Kürzlich, beim Besuch der Gastwirtschaft „Neue Mohrsche Anlage“, wurde ich auf die Alt-Saarbrücker Brauerfamilie Mohr aufmerksam, die ihre Brauerei in der Metzerstraße betrieb. Johann Heinrich Mohr war Bierbrauer und Küfer in Alt-Saarbrücken. Er gründete 1822 eine Brauerei in der Altneugasse, die später in die Metzerstraße umzog. Dort ließ die Familie 1872 Felsenkeller anlegen, um ihr Bier kühl zu lagern. Aus den Berichten ist auch zu erfahren, woher Hopfen und Gerste für die saarländischen Biere kamen. Die Gerste stammte vom linken Rheinufer, der Hopfen meist aus Bayern. Namen von Gaststätten, die man in meinem Alter kennt, sind in diesen historischen Schriften aufgeführt, und vieles erklärt sich mir jetzt.

Früher ging ich häufiger in „Baldes Braustübel“ in der Bahnhofstraße. Diese Brauerei betrieb in früheren Zeiten auch die Gaststätte „Zur Rose“ am St. Johanner Markt. Ihre Felsenkeller hatte die Brauerei am Mügelsberg. Oder das „Brauhaus im Tal“: Das ehemalige Hofbräuhaus in der Talstraße wurde schon Mitte des 18. Jahrhunderts gegründet, um dem Saarbrücker Hof Bier zu liefern. Ich kannte das Hofbräuhaus noch als Gastwirtschaft Mitte der 1970er-Jahre in der Talstraße, direkt neben dem Gymnasium am Schloss.

Auch der heutige „Adler“ in der Deutschherrnstraße verkaufte sein eigenes Bier. Die Gebrüder Heyer führten dort eine Brauerei mit Gastwirtschaft. Das Haus kaufte die Brauerfamilie Mitte des 18. Jahrhunderts. Es wurde von Friedrich Joachim Stengel gebaut. Ab 1907 hieß die Brauerei „Adler-Bräu“ und wurde 1924 stillgelegt.

Natürlich ist in den historischen Schriften auch die Brauerfamilie Neufang verzeichnet, die bis vor einigen Jahrzehnten die zweite große Brauerfamilie neben der Familie Bruch in Saarbrücken war. Mitglieder der Familie Bruch brauten nicht nur im Stiefel und der Scheidter Straße ihr Bier, sondern auch im Stadtteil Sankt Arnual. So verkaufte Christian Bruch, Bierbrauer aus diesem Stadtteil, sein Bier vor allem nach Forbach, Etzlingen und Spichern.

Zurück zum Reinheitsgebot: Das war nicht nur dazu da, um den Weizen als Nahrungsmittel zu schützen, sondern weil die oftmals gepanschten Trünke lebensgefährlich sein konnten. Unsere Vorfahren wollten ja bloß Bier trinken und sich keinen Trip einwerfen! So war es richtig, Bilsenkraut und Fliegenpilze aus dem Bier fernzuhalten. Heute geht es bei all den neuen Ideen beim Bierbrauen aber nicht um die Gesundheit, sondern um die Geschmacksvielfalt. Deshalb beschäftigt sich eine neue Generation Bierbrauer mit einem Phänomen unserer Zeit: dem Craft-Bier. Das ist handwerklich gebrautes Bier, bei dem die Brauer die Aromenvielfalt der Grundprodukte nutzen. Dies sind überwiegend hopfen- und malzbetonte Sorten, die meisten entsprechen dem deutschen Reinheitsgebot. Nahezu 6.000 unterschiedliche Biere haben sich auf dem Markt etabliert. Und wenn ein Bier nicht dem Reinheitsgebot entspricht, darf man dieses Getränk trotzdem verkaufen. „Sie dürfen es dann eben nicht Bier nennen“, merkt Thomas Bruch an. So brauen sie seit jeher in Belgien Bier mit Koriander, Orangenschalen oder auch Kamillenblüten. Dies ist ja nichts Unnatürliches; es entspricht bloß nicht unserem Reinheitsgebot.

Grafik: picture-alliance/ dpa-Grafik
Grafik: picture-alliance/ dpa-Grafik

Zwar geht der Bierkonsum in unserer alternden Gesellschaft zurück, dennoch brauen die Deutschen im internationalen Vergleich noch am meisten. 2014 lagen die deutschen Brauer weit vor denen aus Russland, Spanien, Großbritannien, Polen und Spanien. Beim „Pro-Kopf-Verbrauch“ lagen nur die Tschechen vor den Teutonen.

Ich selbst schätze die Vielfalt und trinke immer seltener Pils, da die großen Brauereien beim Pils einen ähnlichen Geschmack pflegen. „In Deutschland ist in den vergangenen 40 Jahren ein Mainstream-Geschmack entstanden“, sagt Thomas Bruch mit Bedauern. „Dieser hat sich dadurch entwickelt, dass die größten Brauereien Bier verkaufen, das wirklich jedem schmecken soll.“ Doch dies seien „Biere ohne Ecken und Kanten“. Der Pilsverkauf in Deutschland umfasse mehr als 60 Prozent des Biermarktes. „In diesem Segment läuft der Preiskampf der Großen. Mittelständische Brauereien haben auf diesem Markt überhaupt keine Chancen.“ Darin liege aber auch der Vorteil der Kleinen, betont der Braumeister. „Sie suchen sich Nischen und verkaufen Biere, die anders schmecken. Wir machen etwa Zwickel, dunkles Landbier, Fastenbier, Festbock oder Hopfenperle.“

So entwickelt sich der Markt der Zukunft vielfältig – zur Freude der Biertrinker. Lukas Bruch, verantwortlich für die Stiefel-Gastronomie, erzählt mir von den Neuigkeiten im Bruch’schen Stammhaus: „Das Pale-Ale, das wir bald hier verkaufen werden – natürlich nach deutschem Reinheitsgebot – wird mit besonderem Malz zubereitet und mit einer obergärigen Ale-Hefe vergoren. Wir hopfen dieses Bier viermal: zweimal bei der Verkochung, beim Ausschlagen und im Lagertank.“ Zum Einsatz kämen die Hopfensorten Saphir und Cascade.

Der Juniorchef baut den Stiefel gerade um. Nach seinen Vorstellungen werden hier in Zukunft sechs Bierleitungen benötigt, um den Gästen im ältesten Saarbrücker Brauhaus immer sechs unterschiedliche Biere zu präsentieren. Alles eine Frage des Geschmacks! Denn am Ende entscheiden die Verbraucher. Ihnen muss das Bier schmecken, ob das aus dem Supermarkt, das teure Craft-Bier oder das neue bei Bruch. Schöne Vielfalt. Na dann, Prost!