Konservierungsstoffe an Pestizid-Ragout

Für FORUM-Kolumnist Rolf Klöckner ist es nach wie vor erschreckend, unter welchen Bedingungen heute Nahrungsmittel produziert werden. Bewusst einkaufen, kochen und essen heißt daher die Devise. Auf die Meinung von Experten kann man sich dabei trotzdem nicht immer verlassen.

Unsere Nahrungsmittel sollen unsere Heilmittel und unsere Heilmittel unsere Nahrungsmittel sein.“ Dies sagte der weise Hippokrates (460 – 377 v. Chr.) vor ungefähr 2.400 Jahren. Und nie war dieser Satz so wertvoll wie heute. Die sogenannte zivilisierte Welt der Industrienationen steckt in der Krise. Und nicht die wirtschaftlichen Daten müssen uns aufschrecken, sondern unsere Gesundheit. Ähnlich dachte auch eine französische Journalistin, wie ich festgestellt habe. Kürzlich dachte ich, heute Abend schaue ich mal Fernsehen. Irgendeine Komödie oder so etwas. Etwas Fröhliches. Doch je länger ich mir die Programmangebote anschaute, desto klarer wurde mir, dass das heute nichts wird. Dann finde ich ewas auf Arte. Allerdings ganz anders, als ich es mir ausgedacht habe.

Der Film heißt: „Unser täglich Gift“. Marie-Monique Robin, eine französische Journalistin, ist der Lebensmittelindustrie auf der Spur. Sie recherchierte zwei Jahre lang in Nordamerika, Asien und Europa, wie Chemikalien in unsere Lebensmittel gelangen: von Pestiziden beim Anbau über Zusatz- und Konservierungsstoffe bei der Verarbeitung bis zu Weichmachern in den Verpackungen. Diesen Film sollte sich jeder ansehen, der wissen will, was mit unseren Lebensmitteln los ist. Am nächsten Tag notierte die „taz“: „Erschreckend, schockierend und gnadenlos ehrlich.“ Arte schreibt in einer Presserklärung dazu: „Seit 30 Jahren ist eine ständige Zunahme von Krebserkrankungen, neuro-degenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer, Immunschwächekrankheiten sowie Diabetes und Fortpflanzungsstörungen zu beobachten. Wie lässt sich diese beunruhigende Situation erklären, die sich vor allem in den Industrieländern feststellen lässt? Zahlreiche wissenschaftliche Studien verdeutlichen: Die Hauptursache ist in Umwelt und Ernährung des Menschen zu suchen. Diese These bestätigen auch Vertreter der Zulassungsbehörden für Lebensmittel in den USA und Europa.“ Der Dokumentarfilm beleuchtet, unter welchen Bedingungen Lebensmittel produziert, verarbeitet und konsumiert werden.

Am Beispiel von verschiedenen Pestiziden, vom Süßstoff Aspartam und von der in vielen Verpackungen enthaltenen Substanz Bisphenol A (BPA) wird deutlich, wie mangelhaft und ungeeignet die Bewertungs- und Zulassungsverfahren für chemische Lebensmittelzusätze sind. Der Dokumentarfilm zeigt außerdem, mit welchen Mitteln die Industrie Druck ausübt und manipuliert, um weiterhin hochgiftige Produkte vermarkten zu können. Schließlich wird vor allem deutlich gemacht, wie der Mensch sein Immunsystem durch gesunde Ernährung stärken kann.

Dass dies möglich ist, beweisen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. Und dass all diejenigen Recht haben, die behaupten, unsere Kontrollen seien zu lasch und die Industrie habe immer das Sagen, wenn zweifelhafte Viktualien auf den Markt kommen, das steht nach diesem Film wohl außer Frage.

Laut Umweltbundesamt könnte die Menge der sogenannten Weichmacher für Plastik künftig steigen.-Foto:dpa
Laut Umweltbundesamt könnte die Menge der sogenannten Weichmacher für Plastik künftig steigen.-Foto:dpa

Ich dachte auch, Krebs sei die Seuche unserer Zeit, weltweit. Doch dass der Krebs in Indien fast unbekannt ist, ließ mich aufhorchen. In den letzten 30 Jahren stellte ich fest, dass immer mehr Menschen, vor allem Jüngere, Vegetarier wurden. Sie haben dafür verschiedene Gründe, doch immer wieder höre ich: Es sind vor allem Filme und Berichte über Tiertransporte gewesen, die sie zu dieser Entscheidung drängten. Auch ich frage mich immer wieder, was sind dies für Menschen, die für eine Handvoll Dollar oder Euro jede Quälerei unschuldiger Geschöpfe in Kauf nehmen? Nenne sie Tierquäler, Schlachter, Unternehmer oder wie auch immer. Sie leben offenbar weit weg von einer Gesellschaft mit zivilisierten Normen und Werten. Wir haben Gesetze. Doch die wurden anscheinend von Leuten gemacht, die sich ihres Tuns nicht bewusst sind. Verantwortlich dafür sind Politiker und deren Ausführungsorgane in den Verwaltungen, die nicht kontrollieren oder dieses nicht können oder überfordert sind, intellektuell und personell.

Es ist nicht auszuhalten, was da alles geschieht. Für mich das Schlimmste: Gutgläubigkeit und Nichts-hinterfragen-Wollen – Scheuklappenblindheit. Da wird eine Institution genannt mit einem „wissenschaftlichen“ oder „objektiven“ Touch und schon herrscht Schweigen im Walde. Beispiel „Stiftung Warentest“. So merkte der anerkannte griechische Olivenölproduzent Nico Psaltiras, in vielen deutschen Fachmagazinen mehrfach ausgezeichnet, bei einer Diskussion über einen Olivenöltest von „Stiftung Warentest“ an: „Stiftung Warentest hatte bestimmte Olivenöle für ‚gut‘ und ‚sehr gut‘ befunden. Als dieselben Öle, dieselben Chargen von unabhängigen Labors noch mal im Auftrag vom ‚Feinschmecker‘ untersucht wurden, waren diese laut dem Test des ‚Feinschmeckers‘ nicht zum Verzehr geeignet. Soviel zu Stiftung Warentest.“

Vor Kurzem das Gleiche bei Pesto. „Gut“ waren die Produkte von Aldi Nord „Casa Morando Pesto Verde“ und Rewe „Pesto alla Genovese“.

Erschreckende Testergebnisse

Der Preis von 63 und 78 Cent pro 100 Gramm zeigt: Gutes Pesto aus dem Glas muss nicht teuer sein – auch wenn Selbstgemachtes die Produkte bestimmt übertrumpfen kann. Meinen sie! Für dieses Geld bekomme ich noch nicht mal ordentliches Basilikum, geschweige denn Pinienkerne oder gutes Olivenöl. Der Fachmann in Saarbrücken auch für solche Produkte ist Andreas Schmal vom St. Arnualer Feinkostladen „Apero“. Er sagte mir: „Was die Zutaten betrifft: Hiesiges Basilikum besitzt nicht die Aromen, die ein authentisches Pesto Genovese braucht. Also suchen Sie nach ‚Basilico Genovese DOP‘. Auch die Qualität der meisten Pinienkerne lässt arg zu wünschen übrig, die wohl besten kommen aus dem Naturpark von Pisa, sind aber nicht gerade billig. Und der industriell hergestellte ‚Pecorino Romano‘ tut‘s auch nicht, es braucht für den Originalgeschmack den ‚Pecorino Fiore Sardo DOP‘ mit leicht rauchigem Aroma und aus der rohen Milch der Schafe der alten autochthonen ‚Razza Sarda‘.“

Oder die Herrschaften von Foodwatch: Sie vergleichen nur Industriemüll und das mieseste Produkt bekommt die „Goldene Zitrone“. Und was habe ich davon? Ist doch alles Industriemüll, voller Zucker und Zusatzstoffe, aber das weiß ich bereits vorher. Sachlicher hört sich das schon bei Greenpeace an: „Seit vielen Jahren testet Greenpeace Lebensmittel auf giftige Pestizid-Rückstände. Die Ergebnisse eines unabhängigen Obst- und Gemüse-Tests im Jahr 2007 waren erschreckend: Bei jeder zehnten Traubenprobe wurden die Alarmwerte der Weltgesundheitsorganisation überschritten – hier können unmittelbare Gesundheitsschäden auftreten. 2009 waren die Ergebnisse dann beim Traubentest schon deutlich besser. Unsere Tests haben den Lebensmittelhandel veranlasst, von seinen Lieferanten sauberere Ware zu fordern. Aber nach wie vor finden wir Proben mit erschreckend vielen verschiedenen Giftstoffen. So wurden im letztjährigen Gewürztest bis zu 20 Pestizide in einer einzigen Probe Paprikapulver gefunden. Genau dies scheint der neue Trick der Produzenten zu sein: Um die Grenzwerte nicht zu überschreiten, werden häufig mehrere Wirkstoffe in geringer Konzentration gespritzt. Über die Kombinationswirkung dieser Pestizid-Cocktails weiß man noch sehr wenig. Deshalb fordert Greenpeace von den zuständigen Behörden wirksamere Kontrollen.

Wenn Sie gesund leben wollen, reicht wohl nicht das tägliche Joggen durch den Smog an der Stadtautobahn. Sie müssen sich vor allem Gedanken um Ihre Nahrungsmittel machen. Doch viele sind in ihren Diskussionen schon so abgedriftet, dass sie gar nicht mehr wissen, was gute Lebensmittel sind. Viele kennen den Preis, aber nicht den Wert. Doch die industriell hergestellte Pampe ist ein No-go.

Bildquelle: dpa